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„Schlittenhunde sind keine Haustiere und ihre Besitzer gehen mit ihnen auch nicht so um. In Europa kuschelt ihr mit euren Hunden, sie schlafen in der Wohnung. Auf die Hunde hier müssen ihre Besitzer sich verlassen können und dazu müssen sie die Rudelführer sein. Das geht nur, wenn sie den Respekt der Hunde haben. Grönländische Hunde sind wild. Sie werden alle paar Jahrgänge mit Wölfen gepaart. Die Besitzer sind hart zu ihnen, treten und schlagen sie, anders würden sie ihren Respekt nicht bekommen. Wenn der Hund nutzlos wird, wird er getötet. Streicheln ist nicht erlaubt. Nähert euch ihnen nur, wenn ihr die ausdrückliche Erlaubnis vom Schlittenführer habt. Denn sie können beißen. Vielleicht erwischen sie eure Hand, vielleicht gleich den ganzen Arm. Wenn einer der Hunde auf einen Menschen losgeht, ihn beißt, dann muss der Besitzer nach Grönländischen Gesetz die ganze Hundegruppe töten.“
Damit endete der Guide die Einführung zur eintägigen Tour rauf zum Inlandeis, zur Fahrt mit den Schlittenhunden. Die beiden Mitfünfziger Britinen nicken. Sie haben verstanden und sind startklar. Die Einkäufe für das Frühstück auf der Hütte werden noch aufgeteilt. Ausgerechnet die Eier muss eine von Ihnen den 5 stündigen Marsch bis zum Inlandeis mit sich tragen. Welche Herausforderung. Sie lacht. Bevor die drei Aufbrechen nutze ich die Chance noch einmal den Guide auf die Bootstour anzusprechen. Wie ist das jetzt, wenn er doch erst morgen wieder kommt? Kann jemand anders raus zu den Walen fahren? Er nickt zuversichtlich und meint, sein Vater, der könnte das machen. Dann ist er auch schon mit den beiden Damen verschwunden.
Ich sitze auf der Diskoinsel, DEM Ort in Grönland, um Wale zu sichten. Und entgegen sonst vieler Reiseführerversprechen, ist diese Aussage wahr. Schon von Land aus hatte ich sie beim Wandern mit Blick aufs Meer gesehen. Ihre Fontänen verraten sie selbst über eine riesige Distanz hinweg. Kurz gefolgt von ihren kleinen schwarzen Flosse und einem sachten Bogen, den ihr Rücken beim Auf- und Abtauchen über der Wasseroberfläche schlägt. Ein paar mal geht das so, bevor die Schwanzflosse folgt und ins Wasser sinkt. Dann weiß man, jetzt ist er weg. Entweder taucht er einige Minuten später in der Nähe auf oder aber er ist direkt außer Sichtweite. Manchmal dauert es 3 Minuten, manchmal sieht man ihn eben auch gar nicht mehr. Das ist der Rhythmus der Wale. Die Tatsache, dass sie hier so regelmäßig auftauchen hatte mein Interesse an einer Bootsfahrt geweckt. Denn sicher ist, auch von Boot aus wird man die Meeresgiganten sehen, nur eben von viel näher. Hier auf der Diskoinsel ist die Anzahl an Touristen schnell gezählt. Das Wildlife Erlebnis ist weit weniger touristisch, als beispielsweise in Kanada.
Der Vater des Guides kommt ins Office. Ein kleiner älterer freundlich ausschauender Inuit. Seine Haut ist braun gebrannt und zeigt ein paar tiefe Falten, wie die aller älterer Männer hier. Es ist diese Art von Haut, welche nur Seefahrer haben. Gezeichnet von Sonne und der rauen See zugleich. Ich lasse einige Minuten vergehen, ehe ich ihne anspreche. In Grönland kennt man schließlich keine Hektik und ich möchte nicht unhöflich wirken. Dann spreche ich ihn an. Sein Sohn sei ja nun mit den Britinen unterwegs zu den Schlittenhunden, er hätte mir gesagt, dass sein Vater mit dem Boot zu den Walen fahren könnte. Ich ernte ein freundliches Lächeln und ein halbes Kopfschütteln. „Well, I am the only one here today in the office, so I am busy. I don’t know. Maybe. Maybe this afternoon. I will know at two pm.“ Also gut, dann eben später wieder kommen. „Maybe“ heisst im Grönländischen Imaqa und ist ein gern genutztes Wort. Da sich das Wetter gern mal ändert und vieles, wie die Jagd, eben davon abhängt, wird der ein oder andere Grönländer schon einmal morgens wach und schaut erst einmal aus dem Fenster, bevor er sich dazu verleiten lässt Pläne für den Tag zu machen. Alles, was über heute hinaus geht, ist eben nur „imaqa“.
Kurz nach zwei, ich stehe wieder im Office. Das so gar nicht busy, sondern viel eher verlassen wirkt. Meine Finger sind hinterm Rücken gekreuzt. Ich will raus aufs Meer, unbedingt einmal ganz nah an die Kolosse. Der alte Herr schaut auf und meint, er hätte schon noch einiges zu tun und das Büro schließe ja auch erst um vier. Wann ich denn abreisen würde. Mein trauriger Blick und das „tomorrow morning“ überzeugen ihn dann doch. Also gut, nach Feierabend, da könnte er rausfahren. Um fünf Uhr. Dann wird sich am Hafen getroffen.
Und tatsächlich, pünktlich um fünf steht er in voller Montur auf dem kleinen aber gepflegten Boot am Steg im Hafen. Einsteigen bitte. Noch eben zum Tanken in die Bucht und dann geht es los. Da fällt mir wieder ein, wie viel Respekt ich vor dem offenen Wasser habe. Nie weiß man genau, wie tief es unter einem ist, das dunkle Blau gaukelt einem falsche Distanzen vor und hier in Grönland ist es zudem bitter kalt. Immerhin so kalt, dass sich die meterhohen Eisbrocken, die es vom Eisgletscher bis hierher geschafft haben ewig halten. Da fühlt sich die signalrote Sicherheitsweste doch gleich richtig gut an.
Wir fahren zügig aber bedacht. Das Boot gleitet über die Wellen und schlägt kaum auf. Der Fahrer hat eben eine ordentliche Anzahl Jahre an Erfahrung dabei und meint es gut mit seinem Gast. Dann plötzlich die erste Fontäne und wir steuern darauf zu. Doch es war die letzte, die der Wal von sich gab, ehe er abtauchte und verschwand. Weiterfahren. Und wieder, weiter hinten, gleich zwei. Bedacht nähern wir uns und können ein paar Mal das Auftauchen aus nächster Nähe betrachten, dann verschwinden auch diese beiden.
So kurven wir noch eine Weile, sehen immer wieder Wale auftauchen, nähern uns und verpassen sie häufig knapp. Einen besonders schönen Ort wolle er mir noch zeigen. Es geht weiter entlang der Felsenküste. Auf einmal wird es lauter, ein Rauschen. Das klingt nach Wasserfall. Und tatsächlich. Hier so weit draußen am Rand der Insel, da sehen die Felsen ganz anders aus. Einige kleine Höhlen sind zu erkennen und die Steine haben sich in witzigen zackigen Formen entwickelt. Immer wieder rinnen kleine Wasserfälle die Wände hinunter. Wunderschön und faszinierend mutet dieses Kulisse an. Wahrhaftig. Das ist ein besonderer Ort. Mit einem breiten nickenden Grinsen bestätige ich seine Idee, das ist wirklich wunderschön. Die geteilte Meinung sowie mein offensichtliches Glück freuen den älteren Herren.
Zurück geht’s Richtung Eisbrocken. Vielleicht sichten wir noch einen Wal. Vorbei an den weiß türkis schimmernden Naturkunstwerken, die Zeugen der Grönländischen Kälte sind. Da ist sie, die gewohnte Abfolge. Fontäne, dunkler Rücken mit Flosse und abgetaucht. Wieder. Wir näher uns. Und weg ist er. Doch dieses Mal soll es nicht dabei bleiben. Inuits haben einen Ruf für Robben und der funktioniere auch bei Walen. Ein langer Holzstab, einem Besenstiel ähnlich wird vom Bootsboden gehoben und ins Wasser gehalten. An einer Längsrille setzt er den Mund an und beginnt mit eigenartigen Pfeifftönen. Das würde den Wal locken. Ich lächele und denke mir, wenn es hilft. Glauben kann ich es nicht so richtig. Es vergehen einige Minuten. Der Wal taucht nicht auf. Doch wir warten weiterhin geduldig. Was bleibt auch anderes übrig.
Auf einmal blubbert es einige Meter vor unserem Boot. Dann, mit einem kräftigen Rauschen, taucht er auf. Der dunkle Rücken, direkt vorm Boot. Er taucht ab und meine Begeisterung wird zur Ehrfurcht. Der ist riesig. Das ist ein Buckelwal. So etwas Großes habe ich noch nie gesehen und dabei konnte ich nur etwas vom Rücken sehen, doch der war schon locker doppelt so breit, wie das Boot. Nur Bruchteile eines Momentes später taucht er wieder auf, dieses Mal noch näher. Uns trennen vielleicht noch 6 Meter. So schnell ist meine Ehrfurcht noch nie in Angst gekippt. Ich stammele nur ein, oh my god, he is under the boot. Und da bewegen wir uns auch schon rückwärts. Der alte Mann hat den Motor angeschmissen, um uns aus der Gefahrenzone zu ziehen. Nicht dass ein aggressives Tier zu befürchten wäre, doch dieser Gigant müsste nur ansatzweise erneut auftauchen und wir würden gnadenlos im eisigen Wasser landen. Je mehr wir uns entfernen, desto mehr Luft bekomme ich wieder.
Der Puls pocht noch ordentlich. Erst jetzt begreife ich die Ausmaße der größten Säugetiere der Welt. Jede Flosse, die ich zuvor gesehen hatte, ob von Land oder Wasser, hatte aufgrund der Entfernung, getäuscht. Ein paar Meter entfernt taucht der Wal erneut auf und bildet den gewohnten Bogen. Der alte Herr lacht und meint, der wollte mit uns spielen aber wir hätten gewonnen. Er ruft ein „thank you and good bye“ Richtung Meeresriesen. Der taucht final mit Fluke ab und wir bewegen uns zum Hafen. Außer uns war nur eine handvoll Fischerboote auf dem Wasser. Das Treffen mit dem Wal, das war exklusiv und einmalig. Er kam, weil er gerufen wurde und schenkte mir ein unvergessliches Erlebnis und einen Heidenrespekt.
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