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Es ist halb acht Uhr morgens und ich habe eine Mission. Heute werde ich meinen ersten Vulkan besteigen. Nicht irgendeinen Vulkan… Wir befinden uns auf Neuseelands Nordinsel in einer garstig-schönen Vulkanlandschaft, die wie nicht von dieser Welt wirkt.
Drei Vulkane ragen aus dem Plateau heraus: der uralte zerklüftete Mount Tongariro, nach dem auch der Nationalpark benannt ist, Mount Ruapehu, mit über 2.700m der höchste Vulkan der Nordinsel und der perfekt kegelförmige Mount Ngauruhoe, besser bekannt als „Mount Doom“ oder „Schicksalsberg“ aus „Herr der Ringe“. In dieser steinigen Einöde fanden seinerzeit die Dreharbeiten statt, hier tummelten sich ganze Ork-Armeen und ein beringter Hobbit, hier entschied sich das Schicksal von Mittelerde. Während ich mir das alles durch den Kopf gehen lasse, stehe ich noch unten am Parkplatz und blinzele müde in die seltsam deplatziert wirkende Morgensonne. Es ist ein sonniger Tag in Mordor, an diesem Sonntagmorgen im Februar. Vor mir beginnt der Pfad. Ganz allein mache ich mich auf den Weg.
Vor mir liegt die Tongariro Crossing, eine der beliebtesten und spektakulärsten Tageswanderungen Neuseelands, bei der man das Tongariro-Vulkanmassiv überquert – Wanderzeit mindestens 8 Stunden, Distanz 19 Kilometer, über 1.000 Höhenmeter. Es klingt durchaus machbar, auch für nicht besonders fitte, alleinreisende Stadtbewohnerinnen wie mich. Trotzdem bin ich ein bisschen nervös. Ich bin bereits seit fünf Uhr wach und viel geschlafen hab ich auch nicht vor Aufregung. Würde ich es schaffen? Oder auf halbem Weg an den Hängen des Mount Doom zusammenbrechen? Und ist es nicht dumm und gefährlich, so eine Wanderung alleine zu machen??
Die ersten 1 ½ Stunden sind eigentlich ganz easy. Ein leicht ansteigender Weg, Heidekraut links und rechts, ein Bach, andere Wanderer immer noch irgendwo im Blickfeld. Ganz nett eigentlich, dieses Mordor. Ich lege ein flottes Tempo vor, um keine Zeit zu verlieren. Es macht Spaß! Ich fühle mich wach werden und genieße es, nur mit mir alleine durch diese Landschaft zu marschieren. Mein Kopf wird frei. Ich lasse meine Gedanken schweifen und sauge die Umgebung in mich auf. Nach 1 ½ Stunden ein Etappenziel: das letzte und einzige Klohäuschen des Tages – mir wird klar, dass es dort oben auch keinen Baum und keinen Strauch mehr geben wird. „Frodo wäre stolz auf mich“, hat jemand an die Wand geschrieben.
Während ich noch darüber nachdenke, worauf sich das alles beziehen könnte, verändert sich auf einmal die Szenerie um mich herum. Es wird karg, steinig-düster, und steil. So einfach es bis hierhin war, so hart wird die nun folgende Etappe: Durch Lavaströme und über schwarzes, scharfkantiges Gestein quäle ich mich regelrecht bergauf. Und da ist er, der Mount Doom. Mit seiner perfekten Vulkanform taucht er vor mir auf, und wie um mich einzuschüchtern spuckt er ein paar Aschewölkchen in den verdächtig blauen Mordorhimmel.
Ich steige langsam weiter und befinde mich nun schon an seinen Hängen. Nach einer gefühlten kleinen Ewigkeit erreiche ich die Weggabelung hinauf zu seinem Krater. Wäre dies nicht Neuseeland, wäre hier vermutlich ein Stand mit einem Ringverkäufer und Souvenirs, doch hier ist nur Wildnis und Stille und kalter Wind.
Mit bloßem Auge sehe ich ein paar Wanderer an seinen steilen Hängen über mir – Himmel, da ist überhaupt kein Weg mehr!? Stattdessen quälen sie sich querfeldein über Asche und Geröll an den fast senkrecht aufragenden Hängen hoch. (Ob da oben überall Ringe herumliegen??) Eigentlich ist das auch kein Teil der Tongariro Crossing mehr, sondern eine mehrstündige Extraroute. Und eigentlich ist es dafür auch schon zu spät am Tag. Und eigentlich kann ich schon jetzt nicht mehr. Aber es hat ja auch niemand gesagt, dass es einfach sein würde mit Mordor…
Heimlich beschließe ich, dass es jetzt Zeit ist, ein bisschen „Herr der Ringe“-Soundtrack zu hören. Doch es hilft alles nichts. Was soll ich sagen? Ich habe es wirklich versucht, doch letztendlich bin ich dann doch zurück auf den Tongariro-Pfad. Frodo wäre wohl nicht stolz auf mich (zumal ich meinen einzigen Ring schon zwei Tage zuvor im Hostel verloren hatte.) Doch ich denke mir, was soll’s – meine Mission lautet Tongariro! Also wende ich mich nach links, weg vom Schicksalsberg und hin zum Mount Tongariro und durchquere als nächstes ein flaches, wüstenartiges Plateau. An dessen Ende folgt eine weitere steinige Kletterpartie mit jeder Menge losem Geröll – und dann stehe ich endlich oben auf dem Grat!
Vor mir öffnet sich einer der unglaublichsten Ausblicke meines Lebens: Zur einen Seite der Mount Doom mit der flachen Vulkanebene, die ich vorhin durchquert habe (war das etwa ein Krater??). Zur anderen Seite vor mir tauchen kleine smaragdfarbene Seen auf, ein weiterer Krater und in der Ferne der Lake Taupo. Der Wind hier oben auf knapp 2.000 m Höhe ist kalt, ab und zu bringt er den Geruch von Schwefel mit. Vor dieser Aussicht mache ich eine Pause und lerne gleich ein paar andere Alleinwandernde aus verschiedenen Ländern kennen (leicht daran zu erkennen, dass sie niemanden haben, der sie fotografiert!). Es ist nett, doch ich habe mittlerweile Gefallen am Alleinsein mit mir und meinen Gedanken gefunden und breche bald wieder auf, immer den langgezogenen Grat zu meiner Linken entlang – schließlich muss ich heute noch einen Vulkan besteigen!
In der Ferne spuckt einer der Berge eine immer größer werdende weiße Wolke aus. „Ein schlechtes Omen!“, ruft mir ein mich überholender Wanderer zu. Es ist mir egal, es ist zu spät, ich bin kurz vor meinem Ziel, Scheiß auf den Herr der Ringe-Soundtrack, jetzt hilft nur noch Metal, und nach einer weiteren Stunde erreiche ich es: den Gipfel des Mount Tongariro. Mein erster Vulkan!
Vor lauter Panoramen und Sonne, Freude und Stolzsein, Höhenluft und Abstechern zu den smaragdfarbenen kleinen Seen und Stolpern durch loses Geröll und Vulkanasche verpasse ich es beinahe, rechtzeitig wieder abzusteigen, um den letzten Shuttlebus aus dem Park heraus zu bekommen. Wie eine Warnung zieht der Himmel auf einmal zu und Mordor zeigt sich von seiner düsteren Seite, als ich das letzte Stück beinahe rennend zurücklege. Als ich völlig fertig den Parkplatz erreiche, liegen bereits überall Leute auf dem Boden und im Gras – und schlafen. Ich ergattere den letzten freien Platz im Bus und kann mich noch genau zwei Minuten wach halten. In meinem Traum sehe ich den Krater des Schicksalsbergs vor mir, doch ich sitze drüben auf dem Tongariro und habe meinen Ring noch. Nein, Frodo wäre wohl nicht so stolz auf mich.
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😀 Ich sollte doch noch vorher ein wenig Training machen um darauf zu kommen. ABER – ich will! *-* Die Aussicht und Landschaft ist einfach berauschend. Traumhaft
Ich war auch schon da und fand es wirklich beeindruckend. Allerdings soll es im Sommer sehr voll sein. Wir waren im September da, also im neuseeländischen Winterende/Frühlingsanfang. Da war es noch relativ leer. Für Neuseeländische Verhältnisse überfüllt (wir haben mehr als einen anderen Wanderer getroffen), aber nicht schlimmer als in den Alpen.
Hallo!
Ich habe dieses Jahr auch den Tongariro Crossing bewältigt, allerdings hatten wir absolut beschissenes Wetter! 🙁 Nebel, Wind mit 80 km/h und die letzten 3 Stunden Nieselregen, es war grässlich. Wenn ich mir jetzt Bilder ansehe, die man bei gutem Wetter machen kann werd ich echt traurig (mache meine Bachelorarbeit über Neuseeland und hätte die Bilder gut gebrauchen können). Der Text ist super geschrieben, bin nämlich ein MEGA Herr der Ringe Fan 🙂 Freue mich für dich, dass du so gutes Wetter hattest!
Viele Grüße
TamaraPs: Wenigstens hab ich einen Grund nochmal in das tollste Land der Welt zu fliegen *g* 🙂
Hey Susi, sehr schön geschrieben und tolle Bilder. Vielen Dank dafür. Nun bin ich noch heißer darauf, den Walk zu machen. Liebe Grüße aus Franken.
Danke! Das musst Du unbedingt machen – mit oder ohne Ring! 😉
Atemberaubende Fotos, das sieht nach einer super tollen Tour aus. Und an Orks seid ihr nicht geraten?
Hey ho,
ich war 3 Tage auf dem Tongariro Northern Circuit und das war eines der absoluten Highlights meiner Reise. So fabelhaft wie die Fotos sind, so besonders ist es auch dort entlang zu wandern. An dem einen Abend sah Mordor tatsächlich auch nach Mordor aus: http://medien.rtwblog.de/timoaufreisen/files/2013/03/P2284112.jpg (ohne Bildbearbeitung, crazy!)
Beste Grüße,
Timo
(Weitere Fotos/ Artikel habe ich hier hochgeladen: http://timoaufreisen.rtwblog.de/2013/03/04/great-walks-groartige-wanderungen/)Hey Karla, vielen Dank! Nein, Orks habe ich nicht gesehen (aber vielleicht haben sie mich gesehen??) Ich muss allerdings gestehen, dass ich mich heimlich dabei erwischt habe, wie ich Ausschau gehalten habe. 😉
@Timo: Krasses Mordor-Bild! Nächstes Mal möchte ich mich auch an den mehrtägigen Trek wagen. Drückt schon mal die Daumen! 😉
Wow, gratuliere zu dieser Wanderleistung! Und danke für den packenden Bericht, dank dem ich heut auch ein bizli in Neuseeland war 😉
Das Blau des Himmels ist unglaublich und das an so einer Location. Hattest du denn auch das Ich-Fühl-Mich-Wie-Im-Film-Grinsen ?
Viele Grüße Timo
http://www.headformylife.comDanke! Soweit ich mich erinnere, haben die im dritten Herr-der-Ringe-Teil nicht mehr viel zum Grinsen gehabt, aber ja! 😀 Vor allem, als ich dann ganz oben war! (Nicht so, als ich mich im ein-Schritt-vor-zwei-zurück-Prinzip die Geröll- und Aschehänge hochquälen musste ;-))
Danke für die tollen Bilder – Sie wirken fast surreal!
Danke! Das ganze Erlebnis war irgendwie surreal – allerdings hab ich mir sagen lassen, dass ich extremes Glück mit dem Wetter hatte! Mordor-untypisch! 😉
Yeah!!! Wunderschöne Bilder! Ich fliege am Wochenende auch nach Neuseeland und bin schon echt gespannt! <3
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