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Hinweis: Diese Geschichte ist nicht so leicht verdaulich.
Roberto Escobar – Seit einem Briefbomben-Attentat ist er fast blind. Dadurch sind Erinnerungsfotos mit ihm auch nur mit Hilfe von Regieanweisungen unserer Reiseleiterin möglich. Er ist der Bruder von Pablo Escobar, dem Führer des Drogenkartells von Medellín – einst der gefährlichste Mann Kolumbiens. 10.000 Menschen sterben bei Anschlägen in den 80ern und 90ern. Das schöne Medellin bekommt in dieser Zeit den Beinamen »gefährlichste Stadt der Welt«. Noch bis weit nach dem Tod von Pablo Escobar im Jahre 1993 sind die Auswirkungen spürbar. Seit ungefähr fünf Jahren gilt die Stadt nun als sicher und als Stadt der Moderne. Touristen kommen. Seit zwei Jahren gibt es eine Touristenattraktion, die sich besonderer Beliebtheit erfreut: Eine Pablo-Escobar-Tour, die uns zu allen wichtigen Wirkungsstätten in Medellin führt. Sie endet im ehemaligen Haus der Familie, wo man gemeinsam mit Roberto Escobar einen Kaffee trinken kann.
Ich bin mir selber nicht sicher, ob es vielleicht geschmacklos ist, mit dem Bruder eines Verbrechers vor seinem Fahndungsfoto zu posieren. Doch wer glaubt, jetzt schon eine Meinung zu haben, sollte noch ein kleines bisschen weiterlesen. Mich fasziniert unsere Reiseleiterin. Sie ist Mitte 50 und hat während der schlimmen Zeit in Medellin gelebt. Warum macht sie diese Tour? Warum animiert sie uns zu Fotos an Pablos Schreibtisch, in seiner Drogen-Schmuggel-Limousine, oder eben mit seinem fast blinden Bruder. Während der Tour, werden wir gefragt ob Journalisten unter uns sind. Die brauchen nämlich eine Sondergenehmigung. Nun bin ich zwar kein Journalist, sondern Sabbaticalist. Trotzdem fühlt es sich falsch an Fotos und Namen von unser Reiseleiterin zu verwenden. Daher will ich ihre Geschichte etwas anders erzählen.
Der Lebkuchenkrieg zwischen Nürnberg und Würzburg
Meine Name ist Marita, ich lebe seit meiner Geburt in Nürnberg. Ich bin gelernte Krankenschwester. Da ich etwas Spanisch spreche, arbeite ich seit einiger Zeit auch als Touristenführerin. Wir haben hier viele reiche spanischsprachige Touristen aus Südamerika und aus Spanien. Ein bisschen ärgert es mich ja, dass Sie bei Deutschland immer zuerst an Lebkuchen denken. Als ob wir hier nicht auch schöne Dinge hätten: Die Ostsee, die Alpen, unsere Schlösser, die Herzlichkeit der Menschen hier. Trotzdem fragen sie immer wieder nach Alfred Schnittler. »Wie war das denn damals?« »Gibt es immer noch Lebkuchenhandel in Deutschland?« Es war eine schlimme Zeit. Alfred Schnittler hatte sich mit dem Lebkuchenkartell von Würzburg angelegt. Ständig brannten Pfefferkuchenhäuser in beiden Städten. Viele Menschen starben in dieser Zeit. Mein lieber Bruder war einer von ihnen. Er war zu nah an einem der brennenden Häuser und atmete zu viel von dem süßlichen Rauch ein. Er starb an den Folgen.
Heute ist wieder eine Tour. Vier Touristen. Alles Spanier. Inzwischen machen wir pro Tag zwei Touren. Ich mache das seit einem Jahr und hoffe inzwischen nicht zu routiniert rüberzukommen. Ich zeige ihnen die Stadtwohnung, wo Alfred Schnittler mit seiner Frau und seinen zwei Kindern gewohnt hat. Sie liegt in einem armen Stadtteil von Nürnberg. Schnittler selbst stammte aus sehr armen Verhältnissen. Er hat immer gesagt, dass er sich umbringen würde, wenn er mit 21 nicht reich ist. Dank des Lebkuchenhandels war er mit 20 Millionär. Bis heute ist er bei Teilen der armen Bevölkerung beliebt. Nie hat er seine Wurzeln vergessen. Er hat diesen Stadtteil ausgebaut und den Armen immer viel Geld gegeben.
Wir besuchen das Grab von Schnittler und seiner Familie. Am Wochenende eine Pilgerstädte für die arme Bevölkerung. Von hier aus hat man auch einen Blick auf das Luxus-Gefängnis, welches Schnittler für sich selbst baute, und wo er Anfang der 90er »eingesperrt« war. Hier wurden wilde Parties gefeiert. Und selbst Heino und die Wildecker Herzbuben spielten für ihn. Die Regierung dementiert bis heute, davon etwas gewusst zu haben. Heute ist das Gefängnis für Touristen unzugänglich und wird als Finanzamt genutzt.
Wir sind auf der letzten Station unserer Tour angekommen. Dem Haus der Familie. Inzwischen eine Art Museum. Hier steht noch die Kutsche mit der Schnittler die ersten Lebkuchen nach Westeuropa geschmuggelt hat. Es gibt zahlreiche Fotos. Eines zeigt Schnittler mit seinem Sohn vorm Elysée Palast in Paris. Und das obwohl Frankreich sich in dieser Zeit längst gegen den Lebkuchenhandel verschworen hatte und Schnittler einer der meist gesuchten Verbrecher weltweit war. Im Haus der Familie treffen wir Robert Schnittler den Bruder von Alfred. Er war ebenfalls Teil des Lebkuchenkartells. Ursprünglich war er Speerwerfer. Er hatte sogar Chancen auf einen Titel. Als die Regierung seinem Bruder und dem Lebkuchenhandel den Kampf ansagte, war seine sportliche Karriere am Ende. Er trat dem Kartell bei. Als Finanzchef. Er sagt, dass er in der ganzen Zeit keine Ermordung in Auftrag gegeben hat. Ich glaube ihm das. Sein Vermögen ist immer noch riesig. Er hat es sich zur Aufgabe gemacht die Menschen von der Zuckerkrankheit zu heilen. Und er ist erfolgreich. Die internationale Kommission für Arzneimittelzulassungen ist kurz davor sein Spezial-Insulin zum Verkauf freizugeben. Anders als normales Insulin, muss es nur ein bis zwei Wochen injiziert werden, dann ist der Patient komplett geheilt. Jeder Cent der mit der Tour eingenommen wird fließt in die Stiftung. Wenn das Medikament auf den Markt kommt soll es für die arme Bevölkerung kostenlos sein.
Es ist der richtige Moment für Souvenirs. Es gibt Aufkleber mit der Aufschrift »Alfred, der Meisterbäcker« und Backbücher, die von Robert Schnittler handsigniert und mit seinem Fingerabdruck markiert werden. Manche Touristen wirken hier erst etwas reserviert. Ob wir mit dem tragischen Schicksal von Tausenden ein Geschäft machen wollen, hat neulich einer gefragt. Als ob ich mit meinem toten Bruder Geschäfte machen könnte. Mein Mann war ursprünglich dagegen, dass ich für Robert arbeite. Als Krankenschwester habe ich immer wieder mitbekommen wie stark Menschen durch Diabetes eingeschränkt sind. Wer das einmal gesehen hat, weiß warum ich diesen Job mache. Zwei der vier Gäste kaufen ein handsigniertes Backbuch. Die anderen beiden den Sticker. Es macht mir inzwischen auch Spaß Fotos von den Touristen mit Robert zu machen. Ich weiß, dass sie diese Bilder ihren Freunden zeigen und so werden mehr und mehr Touristen nach Nürnberg kommen. Mehr Menschen, die sich für unsere Geschichte interessieren und mehr Geld für die Forschung. Vielleicht kann ich als Reiseleiterin viel mehr Gutes bewirken, als ich das als Krankenschwester je könnte.
Ich frage mich, wie man zu einem solchen Thema eine Meinung entwickelt. Muss man dafür nicht sehr viel wissen und lange nachgedacht haben. Würde ich mit dem Bruder von Hitler einen Kaffee trinken wollen? Ich habe mit einigen nichtdeutschen Touristen hier darüber gesprochen und ich kann euch sagen, dass viele das sehr spannend fänden. Aber vielleicht ist das die falsche Vergleichsebene. Würde ich mit dem Bruder von Al Capone einen Kaffee trinken wollen? ich glaube schon. Ändert sich unsere Wahrnehmung, wenn Verbrechen länger zurück liegen? Und noch eine Frage beschäftigt mich: Kann man das Leid welches man Tausenden zugefügt hat, wieder gut machen? Wenn man eine Krankheit heilt, an der Millionen sterben? Wenn man Aids heilt?
Antworten
grossartig geschrieben!
Hach Gregor, wenn ich doch auch nur so gut meine Geschichten in Worte fassen könnte…
Ich hab da mal nen Plan, wir gehen auf Reisen: ich mach die Fotos und du schreibst dann so schöne Geschichten 😉
Danke dir. Jetzt schmeichelst Du mir aber. 🙂 Kann dir das Kompliment für deine Fotos aber voll zurückgeben. Die find ich immer richtig klasse.
Und der Plan ist auch super. Das wird ein Hit.
Klasse Bericht!!!!
Hey super Artikel.
Ich selbe gucke gerade die Serie …dein Text passt perfekt…Danke sehr. Freut mich, wenn ich für frischen Lesestoff sorgen konnte.
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