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Es ist Morgen, als ich starte, nur ich, mir kommt das besonders vor. Das Düstergrau der vergangenen Tage ist einer strahlenden Sonne gewichen, die zu dieser Stunde sanftgelbe Strahlen über die Wiesen und Felder legt. Ein merkwürdiges Gefühl, so alleine loszulaufen, noch dazu an einem Wochentag – so früh ist hier wirklich niemand unterwegs. Kein Gespräch, das einen auf den ersten Metern begleitet, keine gemeinsame Vorfreude auf den Tag. Und doch fühle ich mich alles andere als unwohl, spüre nicht diese merkwürdige Nervosität, die mich überfällt, wenn ich sonst alleine zu einer Reise aufbreche. Alleine wandern, das ist wie alleine reisen, und doch ganz anders.
Ein paar Pferde auf einer Koppel neben dem Weg zeigen sich herzlich unbeeindruckt davon, dass ich an ihnen vorbeilaufe. Es ist Ende September, doch die Sonne verspricht einen warmen Tag. Im Gebüsch fliegen mit lautem Getöse Vögel auf. Noch ziehen sich die Schatten lang, Spinnweben glitzern im Morgenlicht.
Ich bin allein, ich kann tun und lassen, was ich will. Dieses Gefühl liebe ich, wenn ich allein unterwegs bin. Doch eigentlich schränke ich es ein, wenn ich wandern gehe: Ich folge einem Weg, laufe für den Rest des Tages den orangen Markierungen des Traumpfades hinterher, werde möglichst nicht vom Kurs abkommen. Es ist festgelegt, wie lange ich heute laufe, wann ich rechts und wann ich links abbiege und ob ich durch ein Feld oder durch ein Waldstück laufe.
Erst jetzt wird mir bewusst, was für eine ungewöhnliche Erfahrung das eigentlich ist, oder sein sollte: Ich kann mich ganz auf mich selbst konzentrieren. Bin ich in einer Stadt unterwegs, muss ich koordinieren, was ich tue und wann, muss mich durch die Straßen und Plätze navigieren. Ich bin zwar allein, aber ich halte mich und meinen Kopf einen Großteil des Tages beschäftigt, selbst, wenn ich nicht dabei bin, eine Sehenswürdigkeit oder ein Museum zu besuchen.
Auf einem Wanderweg bin ich ganz allein mit mir und meinen Wanderschuhen. Meine Verantwortung liegt darin, einen Fuß vor den anderen zu setzen und Ausschau nach den Wegschildern zu halten – die auf den Traumpfaden nun wirklich nicht zu übersehen sind. Darüber hinaus gibt es nichts, auf das ich achten muss, nichts, mit dem ich mich beschäftigen muss. Ich habe nicht nur Zeit, ich habe auch die nötige Leere im Kopf, um nachzudenken – oder vollkommen abzuschalten.
Und natürlich habe ich Zeit und Muße, um die Welt um mich herum auf mich wirken zu lassen. Das, was mir sonst zwischen Gespräch und Gemeinsamkeit entgehen würde, gehört nun mir ganz allein: das Eichhörnchen, das vor mir über den Weg hüpft und sich schnell aus meinem Blickfeld klettert. Die Sonne, die zwischen den Blättern hindurch Muster auf den Waldboden scheint. Der Blick über die schier endlose Weite, den man im Maifeld hat, sobald man ein kleines Stückchen weiter oben steht als der Rest der flachen Umgebung. Das Laub der Bäume, das sich langsam, aber sicher gelb und rot färbt.
Eine Stunde, nachdem ich losgelaufen bin, sehe ich zum ersten Mal ein Auto, das an mir vorbeifährt, danach begegne ich zwei Rentnern mit Hund. Der Weg führt durch Felder, die, bereits abgeerntet, in dieser Jahreszeit flach grün bewachsen sind. In der Ferne wird es hügeliger, und schließlich stehe ich im Wald. Ein steiler Abstieg führt mich zur Ringelsteiner Mühle, langsam wird es voller. Immer wieder kommen mir schnaufende Wanderer entgegen – ich weiß schon, warum ich die Route, anders als ausgeschrieben, im Uhrzeigersinn laufe.
Das kurze Stück zwischen Mühle und Burg Eltz ist der am meisten bewanderte Teil der Route. Wer nicht direkt an die Burg fahren möchte, kann hier noch ein kleines Stück auf einem gut ausgebauten Weg spazieren gehen. Hier treffe ich nun auch die ersten japanischen Touristen, höre die verschiedensten Sprachen um mich herum. Am Weg entlang plätschert der Eltzbach, und irgendwann höre ich das erste »Ohhh!« der japanischen Renterinnengruppe: Vor uns taucht die Burg auf, die ich vor allem von eindrucksvollen Instagram-Fotos kenne.
Die Burg Eltz ist als »die« deutsche Ritterburg bekannt, und tatsächlich, hätte ich als Kind eine Ritterburg ganz nach meinen Vorstellungen zimmern können, ich bin mir sicher, sie hätte genau so ausgesehen. Dicke Mauern erheben sich über steilen Felswänden, den einzigen Zugang bietet eine Brücke, auf der ein Häuschen steht, an dem jeder Besucher kontrolliert und jeder Eindringling abgewehrt werden konnte. In ungewöhnlich kreativer Form sind die Häuser in die Höhe gewachsen, die Räume haben zum Teil merkwürdige Grundrisse – man baute eben so, wie es einem der Fels erlaubte. Türme und Giebel zieren die schroffen Wände und geben dem Gebäude etwas Märchenhaftes.
Hier an der Burg habe ich bereits die Hälfte des geplanten Weges hinter mir gelassen. Es geht weiter durch den Wald. Ich überquere den Eltzbach und folge dem nun leicht ansteigenden Pfad. Schließlich tauchen vor mir wieder die weiten Felder auf, auf die die Sonne herunterbrennt, selbst Ende September noch. Und dann bin ich da, angekommen. Doch irgendwie, irgendwie habe ich noch Energie. Kann ja nicht so weit sein bis zu meiner Ferienwohnung, denke ich, und lasse mich von Google Maps darin bestätigen. Jetzt noch acht Kilometer, das sollte ja zu schaffen sein. Ein Fuß vor den anderen, so wie den ganzen Tag.
Wo ich in meinem eigenen Tempo laufen kann und ganz auf mich gestellt bin, wachse ich über mich hinaus. Wo es mir egal ist, was jemand anderes von mir denkt, wie zerstört ich aussehe und wie häufig ich anhalten muss, um mich auszuruhen. Alleine wandern – vorher hätte ich behauptet, alleine würde ich mir kürzere, leichtere Strecken aussuchen. Jetzt, wo es so weit ist, laufe ich so viel wie nie zuvor. Alleine wandern, die Konzentration auf sich selbst, das zeigt einem auch, wo die eigenen Grenzen liegen. Und dass wir ihnen im Alltag kaum auch nur nahe kommen.
Als ich endlich ankomme, habe ich das Gefühl, auf glühenden Kohlen zu laufen. Das schlimmste Stück sind die zweihundert Meter gepflasterte Straße bis zur Ferienwohnung.
Doch als ich schließlich unter der warmen Dusche stehe, da kommt die nächste Erkenntnis zum Thema »alleine wandern«: Wer alleine gewandert ist, der darf auch ganz alleine stolz auf sich sein. Egal, wie weit er gekommen ist.
Mehr Informationen:
Der Traumpfad Eltzer Burgpanorama ist einer von 26 Traumpfaden, die sich durch Eifel und entlang Rhein und Mosel erstrecken. Die Pfade sind Rundwanderwege, die problemlos in einem Tag bewältigt werden können, die Längen variieren zwischen 6 und 17 Kilometern. Das Traumhafte an den Pfaden ist nicht nur die Lage und die Umgebung der Wege, sondern auch die perfekte Ausschilderung, die regelmäßig überprüft wird: Hier kann man tatsächlich nicht verloren gehen. Kein Wunder, dass die Wege regelmäßig zu den schönsten Wanderwegen gewählt werden – 2013 war der Sieger der hier beschriebene Traumpfad Eltzer Burgpanorama, 2016 hat der Traumpfad Pyrmonter Felsensteig gewonnen. |
Anreise: Auch, wenn das Maifeld ein bisschen ab vom Schuss ist, ist es von Koblenz aus mit dem Bus erreichbar. Mit ein bisschen Glück bekommt ihr auch den vielleicht freundlichsten Busfahrer Deutschlands. |
Übernachtung: Perfekt übernachten in der Nähe des Pyrmonter Felsensteig und des Eltzer Burgpanorama-Weges lässt es sich in der Ferienwohnung Alte Schule Kollig. Das alte Schulgebäude wurde von einem Künstler umgestaltet und bietet eine spannende Kombination aus Alt und Neu. |
Wandern: Wer keine Lust auf die Traumpfade hat, nicht alleine gehen möchte oder einfach mal etwas ganz anderes ausprobieren will, der kann sich beim »Eifelfan« Heinz Linz melden. Der Wanderführer kennt sich perfekt mit der Gegend rund ums Maifeld aus. Neben »normalen« Wanderungen bietet er zum Beispiel Vollmondwanderungen oder 12-Stunden-Extremwanderungen an. Die Termine findet ihr auf seiner Facebook-Seite. |
Antworten
Ein toller Bericht! Ich stehe gerade kurz vor meiner ersten Mehrtageswanderung ohne Begleitung und trage genau die Hoffnungen vor mir her, die du hier als Erfahrung beschreibst 🙂
Viele Grüße!
Guten Morgen,
Danke für den schönen Bericht! Ich werde im Juni das erste Mal eine Streckenwanderung alleine unternehmen und freue mich einerseits darauf, andererseits habe ich auch ein bisschen Bammel. Dein Bericht macht auf jeden Fall Mut!
LG
YvonneDas ist schön beschrieben. Man muss nicht ans Ende der Welt um sich, warum auch immer zu belohnen, zu finden, runter zu kommen. Keep it simple.
Das hört sich nach einer tollen Erfahrung auf einem tollen Weg an. 🙂
Hallo Ariane,
wie schön Du das alleine wandern beschrieben hast – da schreibst Du mir aus dem Herzen 🙂 Erst letztes Wochenende wanderte ich zum ersten Mal alleine und empfand all das, was Du hier so schön beschreibst. Alleine wandern kann für sich sehr erfüllend sein 🙂
Liebe Grüße,
Bianca von lebedraussenDas hast Du gut beschrieben! Den Effekt stelle ich mir so ähnlich auch beim Pilgern vor. Wer weiß, wo uns unsere Füße noch hintragen… Alles Gute für Deine weiteren Touren!
Ein schöner Bericht. Ich gehe am liebsten immer alleine Wandern. Dann kann ich in meinem Tempo gehen, kann die Seele baumeln lassen und nur für mich selber nachdenken 😀
LG Mel
Ein wunderschöner Beitrag. Du sprichst mir wirklich aus dem Herzen. Es tut gut auch einfach einmal alleine loszuziehen und die Welt zu entdecken. Da ich aus der Schweiz komme liegen die Berge direkt vor meiner Haustüre. Letztes Jahr bin ich so, ebenfalls alleine, auf einen Berg gestiegen. Und es ist war. Dieser Friede den einen überkommt ist einfach herrlich. Man hat Zeit sein eigenes Leben mit etwas Abstand zu betrachten und es einfach einmal zu reflektieren. Keine störenden Geräusche. Einfach nur die Natur und ich.
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